Jakobsweg 2007

90. Etappe: Fisterra - Cabo Fisterra - Fisterra

Jörg | 02.07.2007 Minuten Lesezeit

Naja, Etappe? Eher ein Ruhetag mit Spaziergang.

Geweckt wurde ich von den zahlreichen Möven, die mir wie Stimmimitatoren vorkommen mit ihren Schreien, die teilweise wie Kindergeheul oder Lachen klingen. Das Wetter hatte sich tatsächlich sehr positiv entwickelt: über der Bucht sah man nach und nach die Wolken verschwinden und vom Meer kam sozusagen nur noch blauer Himmel nach.

Welch ein Luxus, nicht um 6:00 loszuhasten bzw. losgehastet zu werden, sondern in Ruhe zu frühstücken und die Boote im Hafen dümpeln zu sehen. Da es mich trotzdem nicht soo lange im Bett gehalten hatte, habe ich mich relativ früh auf die definitiv letzten 2,5 km bis zum Kilometer 0,00 aufgemacht. Der steht am Cabo Fisterra, das, wie der Name sagt, eine hohe Klippe ist, auf der ein Leuchtturm und ein Restaurant stehen. Etwas unterhalb davon steht ein Steinkreuz, auf dem ich Susannes Stein abgelegt habe, den ich am Cruz de Ferro leider in den Tiefen meines Rucksacks nicht gefunden hatte. Ich glaube aber, dass er nun auch an einer guten Stelle liegt und die damit symbolisch verbundenen Sorgen hier am Ende der Welt vielleicht sogar noch besser abgeladen sind. Auch dem anderen Brauch, an dieser Stelle nicht mehr benötigte oder verschlissene Sachen zu verbrennen, bin ich nicht gefolgt. Erstens habe ich praktisch nichts, was ich entbehren könnte oder was so kaputt ist, dass es sich nicht mehr lohnt, es wieder mitzunehmen (das wären höchstens meine alten Stiefel gewesen, die ich ja bekanntlich in St.-Jean-Pied-de-Port entsorgt habe und aus naheliegenden Gründen nicht bis hierher tragen wollte). Zweitens ist die halbe Klippe mit halb angekokelten Socken und anderen “Plastiktextilien” bedeckt, das wollte ich nicht noch weiter verschlimmern.

Stattdessen habe ich eine ganze Weile in Ruhe und alleine den Blick auf das unendlich erscheinende Meer genossen und die Erkenntnis reifen lassen, dass es nun wirklich vorbei ist. Der Moment war nicht so stark wie der Moment als ich gestern zum Strand runterkam und sich das Meer zum ersten Mal in voller Breite dem Blick öffnete, aber egal, es geht nicht mehr weiter, es gibt kein morgendliches Zusammenraffen der Siebensachen, keine nächste Etappe mehr, keine Sorge um Übernachtungsmöglichkeiten, keine Suche nach dem nächsten gelben Pfeil oder Kilometerstein mit Muschel, kein Schnarcher im Bett nebenan. Die Füße entspannen sich merklich, wenn ich mit dem Biertrinken und Kekseessen nicht langsam aufhöre und die Essensmenge wieder etwas reduziere, wachse ich wohl bald wieder in die Hose rein, usw. usf. Kurz, die Wandlung vom Pilger zurück zum Alltagsmenschen ist voll im Gange, auch ohne Verbrennen von Kleidungsstücken.

Am Nachmittag habe ich noch ein paar Mitpilger wiedergesehen und am Bus nach Santiago verabschiedet. Es freut einen besonders, wenn auch solche ans Ziel gekommen sind, die Probleme hatten oder kurz vor dem Aufgeben waren. Tja, dann will ich mal versuchen, die nächsten beiden Tage nicht wie im Wartesaal für den Heimflug zu verbringen ;-)

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